03.22
Sein Archiv ZEITMASCHINE umfasst etwa 20.000 analoge Fotos aus den 90er Jahren, der Zeit des Techno. Heute ist es ein Schatz, der wertvoller ist, als Tilman Brembs es sich je hätte vorstellen können. Die Bilder sind wie „guter Tropfen“, je länger er reift, desto besser wird er. Wir trafen Tilman in entspannter Atmosphäre und stellten ihm vorab ein paar Fragen.
Tilman, wann hast du zum ersten Mal einen Fotoapparat in der Hand gehalten und wann hast du für dich gemerkt, dass dich dieses Medium fasziniert?
Angefangen hat es damit, dass meine Eltern schon leidenschaftlich fotografiert haben. Als ich ganz klein war, wurde bei uns zu Hause immer in der Küche entwickelt und Abzüge gemacht. Aber für mich entdeckt habe ich die Fotografie mit 13 oder so, als wir in der Schule mit Lochkameras herumexperimentierten. Dann habe ich mir einen Fotoapparat von meiner Mutter genommen und losgelegt – hat geklappt. Für mich ist die große Faszination der Fotografie, dass ich alles, was ich so sehe, mit einer Kamera fixieren kann, und das bleibt dann bestehen. So entsteht ein Mosaik aus lauter kleinen Fotosteinchen, und damit kann ich mein Leben visualisieren. Mal sehen, was am Ende herauskommt.
Warum explizit „Fotografieren im Nachtleben“ und in Clubs? Gab es da auch einen sozialen Aspekt bei dir?
Die Fotos im Nachtleben waren nur eine logische Konsequenz daraus, dass ich sowieso immer alles fotografiert habe – Westberlin als großen Zoo oder aber die Maueröffnung. Mich fasziniert das Einfrieren der Momente, die Zeit festzuhalten. Das Fotografieren in den Clubs war oft auch eine Art Brückenbauer – ich kam so schneller mit Menschen in Kontakt, es war ein guter „Türöffner“, denn damals waren die Menschen ja noch nicht so vorbelastet. Heute wird wahrscheinlich das Gegenteil passieren.
Das Mag Frontpage stand damals ganz hoch im Kurs, vom typografisch wilden Designaspekt bis hin zu den Interviews. War es für dich das „goldene Blatt der Szene“, du hattest ja auch für dieses Mag fotografiert?
Ich war seit 1993 bei Frontpage, zuerst als freier Mitarbeiter und dann auch fest angestellt. Ich war eine Art Hausfotograf des Magazins, und es hat viel Freude gemacht, mit sechs Filmen loszuziehen und die Nacht wie eine Art Fotosafari zu erleben. Die Frontpage war ein kreativer Spielplatz, eine Art Blog, bevor es das Internet gab. Alle möglichen Dinge haben wir da untergebracht, manche waren schwer zu lesen, andere nicht zu verstehen. Ich möchte diese Jahre nicht missen und denke auch im Nachhinein, dass es eine gute Zeit dort war. Man war so nicht nur Konsument, sondern auch Produzent in dieser wilden Zeit.
Welche Fotokamera (Technik) hast du damals benutzt? Zumal ja die Beleuchtung nachts mehr als spärlich war.
Es gab damals gerade neu sogenannte „Point-and-Shoot“-Kameras. Die waren ziemlich handlich, hatten Autofokus und eine ziemlich gute Optik. Außerdem hatten die einen starken Blitz, der aber auch schon elektronisch gesteuert war, sodass die Objekte nicht überblitzt wurden. Ich hatte einige Kameras verschlissen, am meisten habe ich mich geärgert, wenn ich aus irgendwelchen Gründen meine Filme verloren habe. Ist vorgekommen…
Für mich ist der Club PLANET – damals in der Köpenicker Straße – das prägende Berliner „Universum“ gewesen, wo ich mich immer sehr wohlfühlte. Auf einigen Fotos von dir sah ich seltene Momentaufnahmen im Club, wie wichtig war der PLANET für dich?
Der PLANET war auch für mich ein sehr wichtiger Club, ich war fast jedes Wochenende da, gleich nach dem TRESOR. Die beiden Locations waren so ziemlich gegensätzlich, obwohl sie auch viel verband. Das laute Bum-Bum im Keller war eher die Hardcore-Hölle, und der PLANET hat dann mit seinen fluffigen Sounds (nicht nur) für einen willkommenen Ausgleich gesorgt. Super war auch die Nähe zur Spree und der Blick auf die andere Uferseite, wo ja nun wirklich damals alles ganz anders aussah. Jeder Club ist ja immer nur so gut wie die Leute, die man dort kennt und mit denen man feiert, daher war es immer sehr lustig dort und wir hatten eine Menge Spaß.
Auf einigen Bildern ist es faszinierend zu sehen, dass auf den Großraves echt keine Telefone und Kameras zu sehen sind. Logisch, zu der Zeit war es nicht alltäglich. Würdest du sagen, dass die heutigen Smartphones ein Fluch oder Segen fürs Nachtleben sind?
Es war nicht nur nicht alltäglich, es gab einfach keine Smartphones, und die paar Mobiltelefone, die es gab, hatten keine Kamera. Eine ziemlich analoge Zeit, und ich vergleiche das gerne mit den Zeiten, als noch Pferdekutschen anstatt Autos auf den Straßen unterwegs waren. Dass es heute ganz anders ist, finde ich gut, auch wenn es schädlich für die Entwicklung des Nachtlebens ist. Heute hat ja jeder Angst, irgendwie kompromittierend fotografiert zu werden und dann im Netz zu landen. Ich finde aber solche Diskussionen immer ein bisschen opamäßig, weil es eben jetzt so ist und keiner wird es ändern. Ich bin froh, die anderen Zeiten kennengelernt zu haben und will aber auch heute meinen Taschencomputer nicht missen. Ich fotografiere sehr viel mit dem Smartphone und denke, es ist ein tolles Medium.
München 1994 / Bild: (c) zeitmaschine.org
Es sind immer zwei Menschen in einem Bild: der Fotograf und die abgelichtete Person. War dir damals bewusst, dass du mit deinen Fotografien eine Dokumentation für die Zukunft erschaffen hast?
Gut, dass du das so siehst. Die meisten Menschen vergessen oft die Person hinter der Kamera. Denn ja, es ist immer der auslösende Moment, das Bild, das den Fotografen mit dem abgebildeten Motiv für immer zusammenschweißt. Diese Hundertstelsekunde ist für immer verbindend, der sichtbare Beweis ist das entstandene Foto.
Ich war mir damals keinesfalls bewusst, dass ich mal als ein Chronist der frühen Technobewegung in die Rave-Geschichte eingehen werde ;) Es war weder mir noch meiner Bubble klar, was wir da eigentlich am Bauen waren. Die Entstehung der Technokultur war eigentlich ein Ergebnis unseres Lifestyles. Für uns gab es ja damals wirklich nur Neuland und wir haben alles ausprobiert, um es in vollen Zügen zu genießen. Ich hatte eben noch zufällig die Kamera dabei.
Vor einigen Jahren kam dein erstes Buch OVER RAINBOWS heraus. Jetzt sind deine Fotografien in deinem neuen Buch ANALOG RAVE zusammengefasst. Was war der Grund, das Buch mit den Fotos neu herauszugeben?
Es sind zwei völlig verschiedene Bücher, auch wenn sich die Bilder überschneiden. Ich sehe mein Erstlingswerk OVER RAINBOWS eher als großes Daumenkino, bei dem man die Bilder ohne Beschreibungen nacheinander durchblättern kann. Ein kleines Format hilft dabei.
Bei ANALOG RAVE habe ich versucht, auch die Menschen, die damals noch nicht auf der Welt oder zu jung waren, in diese Zeit einzuführen. Ich habe jedes Bild mit Namen und Jahreszahl versehen, sodass auch Uneingeweihte einen besseren Überblick bekommen. Außerdem hat das Buch ein großes Format, ist edel gedruckt und schön gebunden und ist ein „richtiger“ Bildband. Ich denke, da werden auch noch ein paar Bände folgen, denn mein Archiv ist groooß.
Gibt es persönlich für dich Vorbilder im Bereich der Fotografie, zu denen du aufblickst?
Nan Goldin finde ich sehr gut, weil sie die Menschen aus ihrer Umgebung mit der Kamera begleitet hat, ohne geschönte Attitüde. Mir gefallen viele Fotografen, aber aufschauen tue ich nicht wirklich. Andy Warhol verehre ich, denn er hat eine ganz neue Denkweise nicht nur in die Kunstwelt seiner Zeit gebracht. Er war ein Visionär und außerdem hat er gerne gefeiert ;)
Bild: (c) zeitmaschine.org
Gab es ein seltsames Erlebnis für dich beim Fotografieren, bei dem du verwirrt oder überrascht warst?
Da gab es einige, und nicht nur beim Fotografieren :) Diese Situation erlebt wohl jeder, der sich in die bunte Welt des Feierns begibt, und aus vielen kleinen Geschichten wird dann die große Geschichte, die man am Ende auch Leben nennt. So muss das sein, und so war es immer. Ach ja, da fällt mir ein, dass ich 1994 eine neue Kamera, die Neuauflage der legendären Polaroid, von einer Agentur geschenkt bekommen habe. Ich habe diese Kamera gleich am Abend im E-Werk ausprobiert, PRODIGY spielten auf, und am nächsten Morgen war ich irgendwie im Bunker. Das Einzige, was von der Nacht übrig war, ist dieses Bild gewesen. Das war schon strange :)
Tilman und Keith (Prodigy) / (c) zeitmaschine.org
Gehst du heutzutage öfter aus?
Ich gehe eigentlich schon lange nicht mehr „promäßig“ aus, da sich mein Interessenschwerpunkt verlagert hat. Ganz ehrlich, weiß ich auch oft nicht wirklich, was ich auf Partys soll, wo die Menschen halb so alt sind wie ich selbst. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir damals über solche Gäste gedacht haben :-) Es ist ja auch nicht so, dass ich nicht wirklich genug gefeiert habe in meinem bewegten Leben. Ich bin jetzt gerne mit meiner Frau in der Natur unterwegs, werde nach Tuscien teilsiedeln und mich den ganzen langweiligen Dingen des Lebens widmen die Freude machen. Dort soll es auch ganz schön sein.
Und zum Schluß, was sind deine alltime 10 RAVE Tracks?
Human Resource – Dominator (Beltram Mix)
T99 – Anasthasia
Emmanuel Top – Turkish Bazar
KLF – What Time Is Love
The Hypnotist – The House Is Mine
Moby – Go
Prodigy – Firestarter
Dead Kennedys – Holiday In Cambodia
Tubeway Army – Are Friends Electric
Frankie goes to Hollywood – Relax
Danke für deine Zeit & see ya*
Das Interview führte Mister T-76.
Das Buch ANALOG RAVE von Tilman Brembs kann man hier kaufen >
Mehr über Tilman Brembs und seine Zeitmaschine Bilder hier >
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