2011
12.21

Ein nahezu Weihnachtlicher Erlebnissbericht von Douglas Greeds erstem Auswärtsgig:

Douglas

„Mein erster Auswärtsgig“ oder „Mein schlimmstes Weihnachtserlebnis“

Ich hatte zur Weihnachtszeit meinen ersten richtigen Auswärtsgig. Jung, 19 und faltenlos, brodelte mein Kopf tagelang vor Aufregung über diese bevorstehende Reifeprüfung. Endlich DJ, endlich von überregionaler Bedeutung, endlich Rock’n’Roll – ohne Rock! Im Kopf studierte ich Übergänge und vor dem Spiegel probte ich ekstatische Gesichtsausdrücke, Hüftmoves und Frisuren. Ich wollte beeindrucken, wollte Fans gewinnen, wollte jungen Frauen Herzen und Hymen brechen.
Ich war die ganze Woche aufgeregt und ohne festen Stuhlgang. Dies bekam mir nicht gut und so saß ich schließlich Samstag, von drückendem Fieber angefressen, im ICE Richtung Abenteuer. Der Weihnachtsgeist war bereits vor mir im ICE.


Er saß mit seinem fetten Arsch auf Spekulatiuskrümeln, er leckte mir festliedernd am Ohr und er verstopfte mir die Nase.
Es roch nach Glühwein. Es roch nach Erbrochenem. Es roch nach erbrochenem Glühwein. Festlich angetrunkene Mitreisende boten mir auf der Fahrt wahlweise Lebkuchen, Leergut oder Schläge an. Eine ältere Dame auch Schläge mit Leergut. Freundlich lächelnd verneinte ich diese Angebote und schaute vom Fieber geschüttelt in das verschneite Deutschland. Draußen war es stundenlang weiß. Und mit der Zeit nahm mein Gesicht, einem Chamäleon ähnlich, ebenfalls das festliche Weiß an. Wäre ich nun nackt und von der Grippe gebleicht in den Schnee gefallen, so hätten mich weder Mutter noch mein Kumpel Ralf, mit dem ich öfters in die Sauna gehe, wiedergefunden. Aus einem mehrstündigen Fiebertraum erwacht, erreichte ich einen trostlosen Bahnhof im Grenzgebiet zwischen Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Ein vertrauenserweckender Mensch griff nach meinen Taschen und stellte sich mir vor: „Hallo ich bin Snickers, dein Fahrer!“
Wir ritten zwei Stunden auf seinem Renault ins Nirgendwo.

Ich war immer noch guter Dinge, erwartete eine dicke Anlage, eine dicke Party und schmale Hüften. Ich spielte im Kopf mein Set durch und die Synapsen betanzten bereits erwartungsvoll meine Auswahl in- und ausländischer Bassläufe. Meine Fingerkuppen tippten ihren nervösen Rhythmus auf das Amaturenbrett des Renaults. Snickers gefiel dieses oskarsche Spiel und er stimmte einen Offbeat ein, indem er sich alle 16 Takte geräuschvoll die Nase bis weit über die Augenbrauen hochzog. Er ließ dabei die Nasenflügel schnarren, so dass es klang als entwiche Luft aus einem riesigen Luftballon mit sonnenstudiogebräunter Ledermündung. Ich trommelte, Snickers naste und der Renault raste. Wir hielten vor dem lokalen Sportlerheim.

Den Start meiner überregionalen Karriere als Beatverwirbler hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt. Statt eines vernebelten Stroboskopgewitters erwartete mich die freundlich gedimmte Leuchtstoffröhrenatmosphäre einer süddeutschen Sportgaststätte. Stolz rostete die Pokalsammlung in dämmernder Glasvitrinenluft und die verblichenen Halsbänder hielten mit letzter Kraft die Bronze-, Silber und Schokomedaillen von 1974 – bis heute.
Wolperdinger hingen an der Wand und raunten mir fiebrige Visionen, tiefschlagende Beleidigungen und aberwitzige Botschaften zu. Die am Tresen sitzenden Dorfältesten gaben mir, ihr Bier wegschmatzend, mit eisigem Kopfnicken zu verstehen, dass ich hier nicht mehr als ein leidlich geduldeter Fremdkörper sei.

„Hey Susi“, sagte ich zu dem älteren Herren am Tresen, „Mach mir mal ne heiße Milch!“. Vergeblich auf Lacher wartend zog ich mich hinters Mischpult zurück. Von zwei volldekorierten Weihnachtsbäumen gesäumt legte ich dann mein erstes Auswärtsspiel nieder. Ich täuschte, trickste und fallrückziehte wie Mutter beim Seniorenfußball hinterm Haus. Die Luft brannte, die Fader rauchten, die Jugendfeuerwehr tanzte.
Der Dorfälteste stellte sich nach einigen Minuten an meine Seite und inspizierte mich und meine Skills mit seinem rechten und mit seinem Glasauge. Er stellte mir Fragen und meine Lippen antworteten brav. Angetan von meinen freundlichen Worten im Geiste der Völker- und Generationsverständigung beschloss er daraufhin die psychedelische Tragkraft meines Sets zu verbessern, indem er mit seinem Schlüsselbund gegen eine Bierflasche schlug. Das so von einer Bierflasche zum Musikinstrument mutierte Glas klirrte kräftig neben dem Beat. Es wollte einfach nicht dem einfachen Diktat der vier Takte gehorchen.
Schließlich barst es in der der faltigen Hand meines neuen Bandkollegen und bescherte der Party ihren ersten ekstatischen Schrei.
War es doch ursprünglich initiiert als ein Laut des Schmerzes, so bekam die Lawine von Schreien, die sich daraufhin über den Dancefloor legten, den angenehmen Klang einer exzessiven Lebensfreudebekundung. Wolfgang hatte mit blutender Hand die Party ins rollen gebracht.

Ich spielte dann zwei Stunden ohne Flaschenklirren weiter. Als ich anschließend mein Gute-Nacht-Bier zu mir nahm, kam Wolfgang „The bavarian BottleKing “, mit frisch verbundener Hand zu mir und fragte mich wie es mir denn heute gefallen hätte. Ich wollte ihm gerne zum Abschied sagen, dass ich diese Veranstaltung „Liken“ werde, aber Facebook ging erst einige Jahre später online.

;;;;

Danke

Douglas Greed stellte uns auch das Tondokument „Über die Raves damals“ zur Verfügung. Eine Freestyle Session, ganz spontan aufgenommen in einer Rotwein durchtränkten Nacht mit Kollege Christian Rottler:

Einfach mal reinhören: „Über die Raves damals“ Song (mp3) »

3 comments so far

Kommentieren
  1. Herrlich :) Musste sehr lachen. Bitte ein Buch schreiben, irgendwann.

  2. jaja, die großen gigs der großen ;-) wußt garnicht das meckpom an bayern grenzt und mehrere stunden zug + autofahrt benötigt. aber in manch thüringer nester kommt man schon auch sehr schwer mitn ice – wenn der am hbf erfurt oder jena zur wartung steht.
    in diesem sinne!

    hoch solln sie leben.

  3. gefaellt mir gut. durch die hoelle muss man gehen um den glitzerstaub in der fern vor dem auge der anderen erscheinen zu lassen. selber ist immer hoelle. =)

    trau deinen eigenen illusionen nicht.

Dein Kommentar