2020
09.21

Die Vögel in den Bäumen singen Lieder, keine Musik aus den Boxen, kein kürzliches Heimkehren am Sonntagmorgen aus dem Club. Die Welt hat sich geändert – guten Morgen 2020. Statt des üblichen Sonntags-Post-Party-Programms sitze ich auf dem Balkon und schreibe diese Zeilen. Wohl genährt vom Frühstück mit der Liebsten und ohne Piepen im Ohr (vom Tinnitus). Es ist ruhiger geworden und ich finde das gut so.


Doch was ist eigentlich passiert? Ein Virus hat nicht nur die Welt durchgeschüttelt sondern auch die Musikszene. Gab es 2019 noch ein Überangebot an Raves überall, spielten DJ’s zu 4- oder 5stelligen Summen in riesigen Hallen oder Stadien, so gab es nun eine Bremse. Hart für diejenigen die alles auf diese Karte gesetzt haben. Und sicher möchte ich nicht aus meiner bequemen Situation heraus auf sie herab schauen und sie verhöhnen. Doch was ist wirklich essentiell im Leben? Ist es das Wochenendliche prokrastinieren im Club (egal ob vor- oder hinter dem Pult) um von den eigenen Baustellen im Selbst abzulenken? Oder ist es die Zuneigung im engen Kreis? Freunde, Familie und die Grundbedürfnisse? Selbsterfahrung und Freude? Oder gar die goldene Mitte von all dem?

Man könnte fast meinen, dass neben den schmerzlichen finanziellen Einbußen der Aktivisten es auch eines verlangt; Kreativität und Durchhaltevermögen. Und natürlich die Frage: „Aus welchem Grund mache ich das Ganze überhaupt?“ Anerkennung? Geld? Beides? Oder ist es die Liebe zur Musik? Das Entdecken neuer Sounds und das Selbsttherapieren und Ausdrücken der Seele? Manchmal wirkt es wie eine Mischung aus Opportunisten und Wendehälsen auf der einen Seite- und Idealisten und Träumern auf der Anderen. Meine Helden sind nicht die Künstler im Rampenlicht, oder obwohl… diejenigen die trotz Erfolg Bodenhaftung haben, dennoch ohne eine Depression davon kommen und in Würde altern wenn man ihnen die Bühne unter ihren Füßen wegreißt. Aber doch vielmehr die Unbekannten da draußen. Diejenigen die einfach weiter machen, egal ob große Bühne oder nicht. Die sich nicht beirren lassen und einfach an die „Sache“ glauben.

Doch was ist die „Sache“? Schaut man sich in den Social Media Kanälen um, wird dieses Bild schnell verwirrend. Da gibt es Künstler die Angst haben vergessen zu werden und Strampeln wie ein Maikäfer auf dem Rücken, andere die stoisch Ihr Ding durchziehen, welche die zum Influencer mutiert sind und auch welche deren eigene Meinung ganz besonders wichtig erscheint. Selbstfindung ist wohl generell ein gutes Ziel… besser als Selbstbetrug und Prokrastination, aber sobald so ein jemand Lehrerhaft daherkommt und sich auf ein Podest über die Anderen stellt wird es uncharmant. Doch ich denke wir alle sind in einem Prozess und irgendwie ist mir das zuwieder eine große Sache aus dem Social Media Verhalten der Menschen zu machen. Soll jeder nach seinem Gustus machen. Leider zählen ja immer noch die digitalen Schulterklopfer in Form von Clicks und beinahe jeder misst sich und andere daran. Wenn ich eines gelernt habe durch den Corona-Koller, dann ist es Demut und Loslassen. Nicht das eigene Wohl oder Interesse über das der Anderen stellen. Einfach mal sich zurücknehmen und eher sozial Denken. Interessant finde ich ohnehin, dass dieser Virus Menschen und Gesellschaft die Maske herunter gerissen hat. Nun sieht man sehr deutlich den Unterscheid zwischen Egoisten und selbstlosen Menschen. Und zwar in allen Ecken.

Denjenigen denen Ihre Bühne und ihr Erfolg besonders wichtig erscheint, sind nicht selten Neid und Missgunst vergiftet. Dinge die niemand gerne anspricht. Dinge die sich die wenigsten selbst eingestehen und doch wird „gehatet“ und nach Schwachstellen gesucht. Da kann ich nur sagen, dass ich denjenigen, welche sensibel sind (was nicht selten bei Kreativen ist), eine stoische oder gleichgültige Problembewältigung wünsche. Denn der Druck zu Entsprechen kann durchaus die Kreativität beeinflussen. Und natürlich auch den Spaß an dem ganzen Wahnsinn nehmen. So braucht man doch heute entweder eine PR Agentur im Rücken (Definitiv Gatekeeper heutzutage), eine Plattform im Sinne von Label oder Crew (am besten am Zahn der Zeit) die hinter einem steht oder man hat entweder das richtige Händchen für das Trommeln oder wird von den richtigen Multiplikatoren gepusht. Im Bestfall ist man zur richtigen Zeit am richtigen Ort (physisch oder digital) und trifft den richtigen Nerv der Menschen und/oder Zeitgeist. So viele Faktoren. So viel Musik. So viele Genres. Die Chance auf Erfolg ist gering aber nicht unmöglich. Doch wie lange währt das Ganze? Und wie nachhaltig ist es?  Und zwar ganz besonders für einen selbst…?

Meine Wenigkeit hat sich selten Gedanken über Aktion-Reaktion gemacht. Ich hatte richtig Bock, entschied meist weniger bedacht sondern eher intuitiv und nahm was kam. War voller Enthusiasmus dabei und definitiv Überzeugungstäter. Das ich nun irgendwann die Menschen mit meiner unübersichtlichen Weitläufigkeit an Genres und Phasen verwirrt habe, kann gut sein. Mir war einfach so. Und es machte verdammt viel Spaß. Danke an der Stelle für jeden einzelnen Menschen der an mich glaubte und mir die Chance gab Musik zu machen oder es genoss die Meine zu hören. Besonders auch an die Menschen die mich inspirierten. Es gibt so viel tolle Musik und Lebewesen da draußen. Gleichwohl gibt es in meiner Geschichte auch Enttäuschungen. Von einem selbst gegründeten Label, welches einen irgendwann vor die Tür setzt und aus den Geschichtsbüchern radiert, über Labels welche eine merkwürdige Wahrnehmung von Künstlerpflege haben. Doch jammere ich heute nicht und denke, dass es gut so ist. Ganz genauso wie es ist. Ich selbst nehme mich schon lange nicht mehr so wichtig und überlasse liebend gern den Menschen die Bühne die dafür brennen.

Doch was hat all das mit Musik zu tun? Altruistisch sind wohl die wenigsten DJs und Produzenten. Und wer genießt es nicht vor Menschen seine Lieblingsmusik zu spielen? Ich würde lügen wenn ich behaupten würde, es hat mir nichts gegeben und mir ist es egal ob den Leuten meine Musik gefällt oder nicht. Es war fabelhaft. Klar war nicht jeder Gig eine tolle Erfahrung, nicht jeder Besuch im Club ein Spektakel, doch muss ich sagen, dass es in den letzten Jahren bevor es ruhiger wurde, nochmal richtig wild war. In meinen End-Dreißigern tanzte ich die ganze Nacht, trieb Schabernack im Backstage und war ganz schön neben der Spur und doch irgendwie voll drin. Eine großartige, aber auch dunkle Zeit. Gut das es passiert ist, umso besser, dass es vorbei ist. Wenn ich mir vorstelle, dass so ein Leben Dauerzustand sein soll, dann sitze ich doch lieber am Sonntagmorgen auf dem Balkon und höre den Vöglein zu. Wie muss sich das für die Menschen anfühlen die ganz oben mitgemischt haben? Freitag bis Sonntag Gigs, Rausch, Schnelligkeit, BÄM BÄM und weiter, dann zurück ins Studio und das Ganze wieder von vorn. Wie ein Wettlauf im Hamsterrad der Industrie. Manchmal stelle ich mir so einen Fall nach unten heftig vor, sollte dies die einzige Säule im Leben dieser Menschen sein.

Ich muss aber auch fairerweise dazu sagen, dass ich nächstes Jahr 40 werde und mir nicht sicher bin ob ich wie Robert Smith (The Cure) als Karikatur meiner Selbst im Club stehen will. Hin und wieder kann das spaßig sein, aber jedes Wochenende? Nö. Und neben diesen ganzen Corona-Club-Bremsen-Thema habe ich den wohl besten Grund ruhiger zu werden. Ich werde Vater einer kleinen Tochter und ich freue mich drauf. Nichts desto trotz würde ich mich freuen irgendwann wieder Musik für Menschen spielen zu dürfen. Ganz frei und unkompliziert. Ich kann mich noch gut an ein Open Air mit Freunden im letzten Jahr erinnern. Also ein Gelegentliches Rückkehren wäre schön… schauen wir mal.

Ironisch ist es schon irgendwie, dass ich nun ein professionelles Studio mit einem geschätzten Kollegen habe. Unter besseren Bedingungen konnte ich früher nie produzieren und doch bin ich seltener im Studio denn je. Vielleicht fehlt mir auch die „House-Aufgabe“, denn Aufträge inspirieren mich.  Das Leben hat mich wieder ganz in seiner Hand und ich lasse mir Zeit. Irgendwie muss ich niemanden mehr irgendwas beweisen oder ich habe den beinahe schmerzlichen Drang produktiv zu sein abgelegt. Ich bin auch zufrieden über die Releases der letzten Jahre. Dennoch freue ich mich nach dem Mittagessen meine Reise in das Studio anzutreten. Was dabei raus kommt? Keine Ahnung. Früher lief das Leben an mir vorbei während ich im Studio saß. Draußen schien die Sonne und ich hing an einem Set oder Track fest. Heute fühlt sich die kreative Pause gut an und ganz besonders, keinen Druck zu verspüren oder mich über meine Musik zu definieren.

Dies hier ist kein Abgesang.
Keine Trauer.
Eher ein Lächeln und eine gehörige Portion Neugier.
Ein Blick in den Spiegel.
Neugier auf die Entwicklung der Musik und der Szene.

Wie geht es weiter?
Wie wird ein Clubbesuch 2021 sein?
Wie es auch ist.
Die Musik bleibt unsterblich.
Einstige Momente unvergessen.
Ich fiebere nun auf mein persönlichstes Release bisher zu.
Meiner kleinen Tochter.

Alles Liebe Euch,
Euer Less

4 comments so far

Kommentieren
  1. bin ganz bei dir less. richtig beobachtet. noch richtiger konkludiert. am richtigsten ist es aber, dass es weitergeht, die krise als chance für neues an allen fronten.

  2. Schön wenn du den Optimismus dabei raus ließt. Denn darum geht es. Ich applaudiere jedem der mit Herz und Seele dabei ist.

  3. Auf jeden Fall ein sehr persönlicher Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen von Less und sehr interessant. Gleichzeitig möchte ich hier einige Passagen kurz kommentieren:

    „Da gibt es Künstler die Angst haben vergessen zu werden und Strampeln wie ein Maikäfer auf dem Rücken, …“ „Denn der Druck zu Entsprechen kann durchaus die Kreativität beeinflussen.“
    Mag sein, dass es einige Künstler die – jedenfalls gefühlt – es mit ihrer Präsenz in den Medien übertreiben und jeden auch nur kleinsten Schnippsel ihres Lebens zum Besten geben. Auf der anderen Seite, da wo keine Nachfrag ist auch kein Angebot. Was man dann ggf. auch an den entsprechenden Klick/Like-Zahlen erkennen kann. Klar ist die gegenwärtige Zeit von Kurzlebigkeit geprägt und umso wichtiger ist es am Ball zu bleiben. Das ist um so wichtiger, als der Künstler mit Auftritten oder Musikveröffentlichungen seinen Lebensunterhalt verdient. Sofern das Künstlerdasein kein Nebenerwerb ist, kämpfen diese Künstler gerade in den Corona-Zeiten schlicht um ihr ÜBERleben. Deshalb glaube ich, dass man diesen kein Vorworf machen kann, wenn sie omnipräsent sind. Natürlich gibt es da auch die Big-Player, die im Grunde schon Millionäre sind, aber auch die sind wenn sie nicht allgegenwärtig bleiben, ganz schnell weg vom Fenster. Und keiner von denen hat Lust ihnen vielleicht früher einmal ausgeübten Beruf (Tischler, Maurer, Bürokaufmann, etc.) zurück zu kehren, wenn man doch einmal vom süßen Nektar des Erfolges und er Huldigung gekostet hat.

    „… oder man hat entweder das richtige Händchen für das Trommeln oder wird von den richtigen Multiplikatoren gepusht.“ „Die Chance auf Erfolg ist gering aber nicht unmöglich“
    Ich glaube nicht, dass die Chance heute Erfolg reich zu sein heute geringer ist, als sie vorher gewesen war. Auch fürüher musst man „Klinken putzen“ und den Leuten auf den Sack gehen, um gehört zu werden. Natürlich gibt es auch die – wie von Less geschrieben – das berühmte Beispiel zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Doch wer sein Glück selbst in die Hand nehmen will, muss es eben auch tun. Dazu gehört eben auch laut und omnipräsent zu sein. Das „Trommeln“ für Veröffentlichungen von Track hat frühr einmal das Label übernommen. Leider sind diese aufgrund der Manpower heute damit völlig überfordert. Allein für die Social Media-Arbeit braucht es mindestens ein Person und wenn diese dann auch noch 4-8 Künstler zu betreuen hat, kommt sie bei der Vielzahl von Plattformen und Posts nicht mehr kräftemäßig und zeitlich hinterher. Da ist dann der Künstler eben selbst am Drücker. Durch die verschiedenen Plattformen, auf dem man Werbung für sein Release machen kann, ist es natürlich schwiriger geworden gehört zu werden. Aber auch dafür gibt es Mittel und Wege sich Gehör zu verschaffen.

  4. Hi Nicola,

    vielen Dank für dein ausführliches Feedback.

    Auch wenn es mehr ein Beobachten als “Vorwerfen” gemeint war, so schwingt sicher ein zynischer Unterton mit. Dennoch versuchte ich mit Worten wie „Soll jeder nach seinem Gustus machen.“ oder „Und sicher möchte ich nicht aus meiner bequemen Situation heraus auf sie herab schauen und sie verhöhnen.“ ausdrücken das ich trotz meiner Worte mich nicht über die Kollegen zu stellen.

    Doch nur weil Algorithmen von fb und co die Menschen zur steten Interaktion im Web „zwingen“, muss ich das nicht gut finden. Wie du es selbst sagst: Social Media allein ist ein Vollzeitjob. Wo bleibt da noch Raum zum musizieren? Und ja, es gibt ihn den Erfolg. Den Raktenstart von Cyan85 beobachte ich zum Beispiel mit viel Freude und Hochachtung. Dennoch ist die Zahl der Künstler so enorm gestiegen, dass es viele Künstler da draußen gibt die mega geilen shit machen aber die im Meer der „Trommler“ untergehen. Und böse Zungen behaupten, man kann sich sogar Likes und Bookings kaufen. Dann gewinnt das Geld und nicht die Musik.

    Doch bei all dem ist es wichtig aus meinem Text folgendes raus zu lesen; Neugier und Hoffnung! Den Glauben an die Musik und diejenigen die sich selbst weniger ernst nehmen und einfach weiter strampeln.

    Liebe Grüße nach Jena
    L

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