2010
01.11

Mann, was hat mich da bloß geritten?
Datum: in den 90ern · DJ: Eva Cazal, Tom Clark u.v.m.

Stalker RavestoryWenn man heute so rückblickend an die Anfänge seiner Begeisterung für RAVE denkt, dann hat man oft das Gefühl, „Mann, was hat mich da bloß geritten?“. Besonders, wenn am Beginn dieser Begeisterung so etwas steht wie „Das Boot“ von U96 (damals noch absolut gleichberechtigt neben Michael Jackson Tapes im Regal). Aus heutiger Sicht selbstverständlich alles andere als der ganz heiße Scheiß – aber irgendwie… Gott sei Dank, dass es das gab. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre: Bratwurstverkäufer, Telekom-Werksstudent oder Vorsitzender der Jungen Union?

Stalker Ravestory 2Wie dem auch sei, dem „Boot“ folgten Frontpage, Raveline und – wenn wir mal ganz glücklich waren und in die Großstadt durften – die Groove. Leitmedium und für uns quasi die Postille direkt vom Techno-Olymp (der damals noch in Frankfurt stand!). Und alle paar Monate geschah es dann, dass sich ein paar Leute aus der Region – die ein bisschen älter waren und schon Moped fuhren – sich ein Herz fassten und ihr mühsam zusammengespartes Taschengeld für ein paar Platten ausgaben, eine Anlage aufstellten und fünf bis zwölf Kisten Bier dazu.

Stalker Ravestory 3Dann kam der Sound des Techno-Olymp ganz nah zu uns – ein unglaublich geiles Gefühl. Laut. Dreckig. Flasche Bier für eine Mark. Herrlich. Irgendwann war das den Mopedfahrenden nicht mehr genug und sie versuchten sich an etwas Größerem: Ein richtiges Openair mit Künstlern von weit weg, nämlich aus Berlin (u.a. Tom Clark). Auf einmal waren es ungefähr 200 Kisten Bier, die Flasche für zweifünfzig und eine Anlage von 14kW. Mann, war ich platt. All diese Menschen! Die Frauen! Der Sound! Und an den Tellern die bezaubernde Eva Cazal. Ich glaub‘, sie war damals vielleicht 20. Und hat Techno gespielt. Hach, waren das Zeiten…

Stalker Ravestory 4Heute ist die Eva Cazal längst nicht mehr so bezaubernd und spielt auf kommerziellen Events Platten, die das Diskothekenpublikum nicht verstehen will (oder kann?). Zur Klolektüre geworden, hat die Groove jedes Fünkchen Magie verloren und von U96 redet schon lange keiner mehr. Das Openair gibt’s aber immer noch: Inzwischen ist es zum richtigen Festival geworden und ich selbst stehe da hinterm Pult. Machte ich mir früher Gedanken, wie man trotz Minderjährigkeit möglichst viele Bierflaschen am Einlass vorbeischmuggeln kann, so sind es heute weitaus banalere Fragen, die mich beschäftigen: Sollten wir nächstes Jahr die Preisdifferenz zwischen Vorverkauf und Abendkasse größer machen? Schalten wir unsere Anzeige lieber in der Groove oder in der de:Bug? Oder bei beiden? Halbseitig oder ganzseitig? Können wir uns U4 leisten?

Und genau dafür bin ich so dankbar. Danke U96. Danke Mopedfahrende. Danke Techno!

4 comments so far

Kommentieren
  1. Schöne Geschichte. Schöner Abschluss. Klingt versöhnlich.

    Falls der Autor das nochmal liest: Von wo kommst du denn ursprünglich?

  2. Frankfurt war niemals der Techno-Olymp, sondern die ewige Nr. 2.

  3. Wie kommt der Autor dazu, die Groove als „Klolektüre“ zu bezeichnen ? Dieses Magazin ist meiner Meinung nach das absolut progressivste und anspruchsvollste was man zum Thema House / Techno / Dubstep am Kiosk kaufen kann …

  4. Schade das die Kamera damals noch kein „überallhinbegleiter“ war.. , Man wäre das geil die wenigen Bilder nicht nur im Kopf zu haben (zu viele hat man ja leider vergessen..)

Dein Kommentar